Jeder Mensch fordert das Recht auf eine EU-Grundrechtsklage. Was heißt das eigentlich? Wer kann unter welchen Voraussetzungen gegen wen und vor welchem Gericht klagen?
Die meisten europäischen Staaten lassen Klagen von Bürger:innen bei vermuteter Verletzung ihrer (nationalen) Grundrechte zu. In Deutschland können Individuen eine Grundrechtsklage vor dem Bundesverfassungsgericht unter drei Bedingungen einreichen:
1. Die/der Kläger:in ist „gegenwärtig und unmittelbar betroffen“,
2. alle anderen Rechtswege sind erschöpft,
3. die Klage richtet sich gegen staatliche Organe.
(Wie) können wir EU-Grundrechte einklagen?
Im Gegensatz zu deutschen Grundrechten, haben Bürger:innen nicht die Möglichkeit die Grundrechtecharta der EU direkt vor dem EuGH einzuklagen. Aktuell besteht gerichtlicher Zugang zu EU-Grundrechten einzig über nationale Gerichte. Sind nationale Gerichte bei der Auslegung der EU-Grundrechte unsicher, können sie Fragen an den Europäischen Gerichtshof richten. In der Vergangenheit hat es jedoch immer wieder Fälle gegeben, in denen nationale Gerichte ihren Bürger:innen EU-Grundrechte verwehrt haben (so z.B. bei illegalen Pushbacks an Griechenlands Grenze).
Wie sähe eine Grundrechtsklage vor dem Europäischen Gerichtshof aus?
Wir fordern eine Grundrechtsklage vor dem EuGH, die es, ähnlich wie die deutsche Verfassungsbeschwerde, jedem Menschen ermöglicht, seine/ihre Grundrechte einzuklagen. Eine EU-Grundrechtsklage könnte dann unter folgenden Voraussetzungen eingereicht werden:
1. Der vorliegende Fall steht in Verbindung mit EU-Recht. Das Gesetz oder der Tatbestand muss aus einem EU-Gesetz hervorgehen bzw. in eine Zuständigkeit der EU fallen.
2. Die vermutete Verletzung der Grundrechtecharta ist „systematisch“. Das betrifft beispielsweise ein Gesetz, das gegen EU-Grundrechte verstößt, oder einen Tatbestand, der eine Vielzahl Menschen betrifft.
3. Die/der Kläger:in ist direkt und individuell betroffen.
Im Prinzip können sich Grundrechtsklagen nur gegen staatliche Organe oder EU-Institutionen richten. (Wir können also kein Unternehmen für ihre hohen CO2 Ausstöße verklagen, wohl aber die EU oder den Staat, der solche Ausstöße gesetzlich zulässt.) Es gibt jedoch Ausnahmen: In Fällen von Diskriminierung, insbesondere aufgrund von Geschlecht, hat der EuGH Grundrechtsklagen auch gegen Individuen und Unternehmen zugelassen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte Klagemöglichkeiten gegen Unternehmen in Zukunft auch auf andere Grundrechte ausweiten werden. Insbesondere, wenn unser Artikel 2 - Digitale Selbstbestimmung in Kraft treten sollte, dessen Satz 2 („Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.“) auch für Privatkonzerne gilt.